10 Januar 2010

Simples Sein

Von einem Mönch wird erzählt, dass er immer wieder um das Kloster von Peltring herum pilgerte. Denn es hatte ihm jemand gesagt, Menschen seien auf diese Art zur Gotteserkenntnis gelangt. Wie der Brevier-betende Priester von Franz-Josef Degenhardt zog der Mönch Tat für Tag seine endlosen Kreise. Eines Tages jedoch stellte sich der ehrwürdige Geshé Tenpa ihm in den Weg. Der Meister stemmte die Arme in die Hüften und sagte zu dem Mönch: „Es ist durchaus richtig, eine heilige Stätte zu umkreisen, aber es ist natürlich viel besser, wenn man das subtile Dharma* praktiziert.”

Bescheiden nickte der Mönch und begann, die buddhistischen Sutras auswendig zu lernen und sie zu rezitieren. Es dauerte nicht lange, da kam Geshé Tenpa wieder vorbei, stemmte die Arme in die Hüften und sagte: „Es ist durchaus nicht verkehrt, die Schriften zu studieren und die Sutras vor sich hinzumurmeln, aber viel besser ist es natürlich, wenn man das universelle Dharma praktiziert.”

Darüber dachte der Mönch lange und ernsthaft nach. Dann begann er sich in meditativer Selbstversenkung zu üben. Selbstverständlich fand Geshé Tenpa ihn eines Tages in einer Ecke hocken, wo er mit konzentrierter Willenskraft versuchte, an nichts zu denken. „Ah”, kommentierte der Alte. „Es ist sehr gut, dass du meditierst, aber echte Dharma-Praxis wäre natürlich noch viel besser.”

Jetzt war der Mönch vollkommen verwirrt. Es gab keine grundlegende Technik mehr, die er noch nicht praktiziert hatte. „Aber was soll ich denn nun genau machen?” rief er aufgebracht. „...Ehrwürdiger Lehrer”, fügte er vorsichtshalber noch hinzu.

„Gib einfach alles Festhalten auf”, sagte Geshé Tenpa. „Dann bist du, wie du bist, und dieses simple Sein ist der Ausgangspunkt und das Ziel.”

* die Essenz der Religiosität