
Der Novemberpogrom vermittelte zugleich ein Vorgefühl des Grauens, das sich später einstellte, aber er war keine Vorstufe der „Endlösung“. Was das moralische Problem anging, lag es auf derselben Ebene. Die Masse der Deutschen, die von Auschwitz nichts oder nur wenig erfuhren, konnte an den ungesühnten Morden und Brandstiftungen des Novemberpogroms ermessen, zu welcher Gewaltanwendung das NS-System fähig war. Ein systematisches Nicht-Hinsehen, eine eingeübte Verdrängung, eine tiefgreifende moralische Indifferenz insbesondere gegenüber dem Schicksal der Juden vermischten sich mit ideologischer Verblendung und terroristischem Druck. Alles dies wirkte zusammen, so daß dort, wo Erschrecken und Protest notwendig gewesen wäre, Verstummen und Verschweigen Platz griffen.
Hans Mommsen (*1930)
Aufsatzes aus dem Katalog „Die Architektur der Synagoge“ (Verlag Klett-Cotta, Stuttgart), der zur gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt/M. vom
11.11. 88 bis 12.2. 89 erschienen ist.
Der Beitrag erschien auch in den "Gewerkschaftlichen Monatsheften", herausgegeben vom Bundesvorstand des DGB, die von 1950 bis 2004 das theoretische Diskussionsorgan des DGB waren.
Der vollständige Text "Die Pogromnacht und ihre Folgen" hier:
http://www.gmh.dgb.de/main/pdf-files/gmh/1988/1988-10-a-591.pdf